In den vorangegangenen Kapiteln habe ich viele negative Entwicklungen benannt. Doch wären wir am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts in der Lage, die meisten dieser Probleme zu lösen. Glauben Sie, dass diese in fünfhundert Jahren noch unverändert bestehen werden?
[...]
Ungleichheit sollte sich durch einen Nutzen für die Allgemeinheit oder universelle Prinzipien begründen lassen und darf nicht den sozialen Zusammenhalt gefährden. Ich denke, Luxus sollte nicht etwas sein, was manche immer und andere nie haben, sondern etwas, das jeder manchmal in Anspruch nimmt.
Menschenrechte und Globalisierung
In Artikel 1, Absatz 2 unseres Grundgesetzes heißt es: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Das würde mindestens bedeuten, dass das Recht auf Einkommen und Vermögen dort endet, wo es andere unter ein zu definierendes Existenzminimum zwingt. Ein erster Ansatz in dieser Hinsicht mag das kürzlich vom deutschen Bundestag verabschiedete Lieferkettengesetz sein.
Sobald der Mensch (in der westlichen Welt) verinnerlicht hat, dass sein Wohlstand trotz des scheinbar eigenständigen Verdienstes nur dadurch möglich war, dass es weltweite Strukturen der Ungerechtigkeit gibt, kann er sich der Verantwortung aus dieser Erkenntnis nicht mehr verweigern. Sie besteht darin, gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen und seinen persönlichen Beitrag zu ihrer Überwindung zu leisten.
In den ersten beiden Teilen dieses Buches habe ich dargelegt, dass unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unsere Kultur auf unseren archaischen Eigenschaften beruhen. Die Systeme haben sich aber weitgehend unkontrolliert entwickelt. Wollen wir einen Wandel, so müssen wir zuerst verstehen, wie unser evolutionäres Erbe in unserer heutigen Welt wirkt. Diese Erkenntnis kann der erste Schritt zur Abkehr von unserer wirtschaftlichen Maxime der Kostenoptimierung hin zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung unseres Denkens sein. Das heißt, wir müssen in Bildung und Reifung für alle investieren. Darüber werden wir in den kommenden Kapiteln sprechen.
Wie den Kapitalismus abschaffen?
Wenn wir unser Wirtschaftssystem verändern wollen, müssen wir bei den Ursachen ansetzen. Da wir den Kapitalismus nicht irgendwann eingeführt haben, können wir ihn auch nicht per Beschluss abschaffen.
Ermöglicht wurde unsere Wirtschaftsweise durch Sesshaftwerdung und das damit verbundene Aufkommen von Besitz. Die fortschreitende Arbeitsteilung machte mehr Handel notwendig. Zunehmende Bewusstwerdung erzeugte Individualität und (Konsum-)Interessen. In einer begrenzten Welt führte das nun stärker zielgerichtete Handeln zu mehr Wettbewerb zwischen den Menschen. Dies führte zur Beschleunigung der Wirtschaft.
Kapitalismus kann nicht die Ursache der Probleme der Menschheit sein, denn den Kapitalismus gibt es nicht als eigenständigen Mechanismus. Er beruht auf unserem Denken und Handeln. Wir selbst sind es, die an Individualität, Erfolg, Gier und Wettbewerb glauben. Viele Autoren haben festgestellt, dass der Kapitalismus beständig zu größerer Ungleichverteilung führt. Wieso? Weil es Menschen gibt, die sich intensiv darum bemühen, reicher zu werden, während andere dies hinnehmen oder sich nicht dagegen wehren können. Ebenso verhält es sich mit Umweltverschmutzung und Ausbeutung: Es sind auch hier die Menschen, die als viele einzelne durch ihr Streben nach mehr Geld die makroskopisch beobachtbaren Muster des Kapitalismus erzeugen.
Der Kapitalismus ist deshalb so stabil, weil er auf Prinzipien menschlichen Handelns basiert. Würde ein kapitalistisches System unter intelligent gewordenen Koalas eingeführt, so würde es sofort wieder zerfallen, weil Wettbewerb, Strebsamkeit und Aggressivität nicht in ihnen angelegt sind und sich ihre Gier auf Eukalyptusblätter beschränkt. In uns Menschen sind diese Prinzipien angelegt, und sie wirken in unserer heutigen Massengesellschaft stärker als in der Steinzeit.
Unser wirtschaftliches und politisches System ist überwiegend so, wie es ist, weil wir daran glauben. Wir alle zusammen bestimmen das Aussehen der Welt – mit dem, was wir für richtig halten. Wir verbrennen keine Hexen mehr, weil wir nicht an Hexen glauben – nicht weil die Regierung Gesetze erlassen hat, die das verbieten.
Würde jetzt per Beschluss ein anderes System eingeführt, das die gestiegene Selbstbestimmtheit, Strebsamkeit und Zielgerichtetheit der Menschen unberücksichtigt lässt, so müsste dieses ebenso scheitern wie der Sozialismus. Eine Veränderung unseres Wirtschaftssystems kann nur aus einer Änderung unserer Haltung resultieren, weil auch eine Veränderung unserer Haltung zu seinem Entstehen führte. Solange wir den Motor der Gier nicht drosseln, wird Kapitalismus unser wirtschaftliches Leitprinzip bleiben.